Jedes Jahr, wenn die Tage wieder länger und wärmer werden, zieht es die Menschen nach draußen: in die Parks, in die Natur - und Motorradfahrer auf die Straße. Doch bei vielen Bikern sind die Kenntnisse während der kalten Jahreszeit - manchmal sogar auch über eine noch längere Fahrpause - eingerostet. Um die Fahrsicherheit der Zweiradfans zu verbessern, bietet die Autostadt seit dem Frühjahr 2019 auf einem extra dafür umgestalteten und abgeschlossenen Parcours am Südufer des Mittellandkanals zwei unterschiedliche Motorrad-Sicherheitstrainings an. Jetzt sind weitere hinzugekommen: Seit diesem Jahr haben Motorradfahrer die Auswahl aus insgesamt fünf Trainingsmodulen.
"Bislang hatten wir ein Basistraining nach den Richtlinien des Deutschen Verkehrssicherheitsrats, in dem grundlegende Techniken wie Kurvenfahren oder Gefahrenbremsungen trainiert werden, sowie ein Schräglagentraining mit einem eigens dafür ausgerüsteten Motorrad der Konzernmarke Ducati", erläutert Henrik Jentsch, Koordinator des Motorrad-Sicherheitstrainings in der Autostadt. "In diesem Jahr sind Kurse für Wiederaufsteiger nach längerer Pause, ein Training exklusiv für Frauen sowie ein After-Work-Training hinzugekommen."
Für die Wiederaufsteiger-Trainings stellt die Autostadt - genau wie beim Schräglagentraining - ebenfalls in Kooperation mit Ducati Motorräder zur Verfügung. Denn viele Wiederkehrer sind zwar im Besitz eines gültigen Führerscheins, haben aber kein eigenes Motorrad. "In allen anderen Trainings bringen die Teilnehmer bewusst ihre eigenen Fahrzeuge mit, um die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Motorrads besser kennenzulernen", erklärt Henrik Jentsch das Trainingskonzept.
Die Probe aufs Exempel macht Elisa Sholobnjuk aus Wiesbaden, die heute für ein Wiederaufsteiger-Training angemeldet ist. Das Wetter spielt schon mal mit: Bei leicht bewölktem Himmel wird sie von Fahrsicherheits-Trainer Paulo Duarte in Empfang genommen. Wie unter Bikern meist üblich, sind die beiden schnell beim Du. "Vor neun Jahren habe ich meinen Motorradführerschein gemacht. Aber weil dann das Geld für ein eigenes Bike fehlte, konnte ich in all den Jahren nur wenig Fahrpraxis erwerben", berichtet Elisa im Briefinggespräch mit Trainer Paulo.
Das persönliche Vorgespräch ist wichtiger Bestandteil jeder Trainingseinheit. Dabei geht es nicht nur um die Fahrpraxis der Teilnehmer, sondern der Trainer erklärt auch die verfügbaren Ducati-Modelle und gibt eine technische Einführung. Außerdem fragt Paulo nach den Erwartungen seiner Teilnehmerin. "Vom Training erhoffe ich mir, dass ich wieder den Mut zum Motorradfahren finde", sagt Elisa. "Ich würde mir wünschen, dass ich die Maschine erst einmal kennenlerne und dass wir dann die Grundlagen durchgehen, zum Beispiel wie ich am besten in eine Kurve fahre oder wie ich sicher abbremsen kann."
Dann nimmt Elisa ihr Trainingsbike in Empfang: eine Ducati Monster 797, die unter Motorrad-Experten auch als "Naked Bike" - ein leichtes Einsteigermodell ohne Verkleidung - bekannt ist und die besonders intuitives Fahren ermöglicht. Zwar merkt Elisa schnell, dass ihr fahrerisches Können doch ganz schön eingerostet ist. Aber im geschützten Umfeld des Trainingsparcours hat sie die nötige Ruhe, sich erst einmal an das Motorrad zu gewöhnen, ohne direkt im dichten Straßenverkehr mithalten zu müssen.
Zu Anfang macht ihr vor allem der richtige Neigungswinkel in Kurvenfahrten zu schaffen. "Im Gegensatz zum Autofahren kommt beim Motorrad mit der Schräglage eine weitere Dimension hinzu", erklärt Trainer Paulo. "Aber genau das macht ja auch den Reiz daran aus: Fahrerisch erstmal dahin zu kommen, die Schräglage dynamisch und intuitiv einzusetzen."
Um das zu erreichen, analysiert Paulo die Sitzhaltung seiner Fahrschülerin, gibt Tipps zur Blickführung, führt Bewegungsabläufe vor und gibt Elisa ausreichend Zeit, alles selbst auszuprobieren und zu erfahren. Der Autostadt-Parcours wurde zu diesem Zweck topographisch ideal ausgelegt: Das Training findet nicht auf einem schlichten, flachen Asphaltplatz statt, sondern die Teilnehmer fahren auf einer geschlängelten Straße mit weiteren und engeren Kurven durch eine hügelige, grüne Landschaft. Teilnehmerin Elisa ist angenehm überrascht von der Atmosphäre. "Die Strecke ist ausgesprochen schön", sagt sie nach der ersten Runde. "Man hat das Gefühl, auf einer reizvollen Landstraße zu fahren." Für die speziellen Slalom- oder Bremsübungen stehen darüber hinaus zwei größere Flächen mit reichlich Auslaufzone zur Verfügung.
Nachdem Elisa inzwischen den Slalom-Parcours absolviert hat, stehen noch Übungen zur Gefahrenbremsung auf dem Programm. "Der große Vorteil ist, dass wir hier in der Trainingssituation sozusagen zurückspulen können. Hat jemand in einer fiktiven Gefahrensituation nicht stark genug gebremst, kann er oder sie die Übung einfach noch einmal wiederholen, bis es funktioniert", berichtet Paulo. "Im realen Straßenverkehr ist das natürlich nicht der Fall." Zum Training gehören auch technische Aspekte des Motorrads selbst, beispielsweise wie Fahrerinnen oder Fahrer mit Modellen mit und ohne Antiblockiersystem (ABS) umgehen.
Haben die Wiederaufsteiger zurück ins Motorradleben gefunden, dann können sie in der Autostadt ihre Fähigkeiten weiter entwickeln. Ein Highlight für etwas geübtere Fahrer ist das Schräglagentraining: Mithilfe einer speziell präparierten Ducati Monster 821, an die eine Art Stützräder angebaut sind, können die Motorradfahrer sicher erproben, wie viele Reserven ihr Bike und sie selbst noch haben. "Diese neue Erfahrung bringt den Teilnehmern einen sehr wichtigen Vorteil", sagt Paulo. "Denn die meisten Motorradfahrer werden irgendwann einmal in die Situation geraten, in einer Kurve plötzlich einen Schreck zu bekommen mit dem Gefühl, zu schnell hineingefahren zu sein." Befindet man sich bereits in der Kurve, dann ist es aber meist falsch, zu bremsen, weil sich die Maschine dann aufrichtet. Im Schräglagentraining übt Paulo deswegen mit seinen Teilnehmern, sich in solchen Situationen noch tiefer in die Kurve hineinzulegen, um den Radius zu verringern und somit unfallfrei durch die Kurve zu kommen.
Nach einem langen Trainingstag ist Teilnehmerin Elisa erschöpft, aber glücklich. "Zu Anfang war ich mir wirklich unsicher. Die Maschine war mir fremd, und ich selbst war ja so lange nicht mehr gefahren", sagt sie, nachdem sie den Helm abgenommen hat. "Aber der Trainer war sehr geduldig mit mir und hat mich auf meinem Level abgeholt. So wurde ich im Laufe des Tages immer sicherer und damit auch lockerer." Die Mühe hat sich jedenfalls gelohnt. Denn mit steigendem Fahrgefühl erhöht sich nicht nur die Sicherheit beim Motorradfahren. Auch den wahren Fahrspaß können Biker erst dann ungetrübt erleben.
Hier gibt es weitere Informationen zu den Motorradtrainings der Autostadt.