Die europäische Wirtschaftskommission hat mit einer Anfang 2016 in Kraft getretenen Reform für viel Unruhe in der Branche gesorgt. Doch welche Auswirkungen hat diese auf den Motorradfahrer wirklich? Darüber sprach BikerBetten mit Christoph Gatzweiler vom Industrie-Verband Motorrad Deutschland e.V. (IVM). Schon seit dem 1. Januar 2016 bestehen für neue Motorräder geänderte Vorgaben. Neu daran ist, dass Motorräder für die Erlangung der EU-Zulassung ganz andere Anforderungen erfüllen müssen, als es bisher der Fall gewesen ist. Ausgedacht hat sich dies aber nicht das deutsche Verkehrsministerium, sondern die Wirtschaftskommission für Europa, die korrekt als United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) bezeichnet wird. Die Anfang des Jahres in Kraft getretene Reform UNECE-R 41.04 ist damit eine EU-Verordnung.
Laut ist endgültig out
Mit dem Euro4-Standard sollen allzu laute Auspuffanlagen – die verständlicherweise immer wieder für Proteste von Anwohnern viel befahrener Straßen sorgen – der Vergangenheit angehören. Dies soll mit der neuen Messtechnik Additional Sound Emission Provisions (ASEP) gelingen. War bis dato Manipulationen Tür und Tor geöffnet, soll mit dem neuen System je nach Klasse eine Geräuschminderung von zwei bis drei Dezibel erreicht werden. Wurde bisher lediglich im zweiten und dritten Gang und nur bei Tempo 50 gemessen, stehen die Maschinen nun in mehreren Gängen und bei Geschwindigkeiten zwischen 20 und 80 Stundenkilometern auf dem Prüfstand.
Zudem wurden auch die zulässigen Abgaswerte gesenkt. So verminderte sich im Vergleich zu Euro3 der Grenzwert für Kohlenmonoxid-Emissionen von zwei auf 1,14 Gramm pro Kilometer, der für umverbrannte Kohlenwasserstoffe von 0,30 auf 0,17 und der für Stickoxide von 0,145 auf 0,09.
Komplexe Umstellung
Weiterhin besagt die Reform, dass ABS nun Pflicht für alle Modelle über 125 Kubikzentimeter und mehr als 15 PS ist. Hier ist lediglich für Trialmaschinen sowie Sportenduros, die weniger als 140 Kilogramm auf die Waage bringen und eine Bodenfreiheit von mindestens 310 Millimeter (bei einer Sitzhöhe von mindestens 900 Millimetern) eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Außerdem müssen alle Motorräder nun mit einem Aktivkohlefilter ausgerüstet sein, damit beim Tanken keine giftigen Benzindämpfe mehr entwichen können.
Christoph Gatzweiler, Ressortleiter Technik vom Industrie-Verband Motorrad Deutschland e.V. (IVM) fasst es folgendermaßen zusammen: „Es handelt sich im Grunde nicht um eine einfache Grenzwert-Reform, sondern um eine komplexe Umstellung auf ein neues europäisches Typgenehmigungsverfahren. Die neuen Grenzwerte für die Abgasstufe Euro4 sind hierbei nur ein Baustein. Der sehr kurze Zeitrahmen zur Umsetzung der zahlreichen technischen Vorschriften und der administrativen Neufassungen waren und sind aus unserer Sicht eine echte Belastung für die Industrie.“
Für uns Motorradfahrer sieht er zurzeit aber keinen konkreten Handlungsbedarf. Zwar sei der Stichtag für die Umstellung der 1. Januar 2017. Doch die neue Rahmenverordnung beträfe lediglich Neuzulassungen ab eben diesem Stichtag: „Der zugelassene Bestand ist hiervon nicht betroffen“, betont der Experte.
Grundsätzlich sei es heute zwar technisch möglich, auch Alt-Motorräder auf Euro4 umrüsten zu lassen. Doch Gatzweiler rät davon ab: „Theoretisch mag ein Nachrüsten im Einzelfall technisch möglich sein. Aus heutiger Sicht gibt es aber keine guten Gründe, einen solchen Versuch zu starten. Der Aufwand wäre hoch und der Erfolg fraglich. Eine Adaption an alle neuen Vorschriften wird in den meisten Fällen nicht möglich sein.“
Seiner Meinung nach haben ohnehin die Hersteller diese Herausforderungen zu meistern, insbesondere in Bezug auf die technischen Aspekte: „Die Einführung der Onboard-Diganose ist ein schwieriger Fall, insbesondere die Anpassung der vorhandenen Technik aus dem Pkw-Bereich an Motorradmotoren ist tatsächlich nicht so einfach, wie man glauben mag. Erschwerend hinzu kommt der enge zeitliche Rahmen der Einführungsfristen.“
Seiner Meinung nach scheint die Branche die Problematik gut angepackt zu haben, was für Schnäppchenjäger, die glauben vor dem 1. Januar 2017 noch Angebote zu Schleuderpreisen bei ihren Händlern bekommen zu können, wohl zu einer Enttäuschung führen wird. Christoph Gatzweiler: „In einigen Fällen mag es Rabatte oder günstigere Tageszulassungen geben, aber die aktuellen Zulassungszahlen lassen eher die Vermutung zu, dass die Hersteller zurückhaltend geplant und die mögliche Absatzmenge bereits konservativ kalkuliert haben.“
Einen guten Job gemacht
Abschließend spricht er den Herstellern ein großes Lob aus: „Die echte Überraschung war für mich die Anzahl der Neuheiten, die auf der Intermot präsentiert wurden. Die Sorge, dass viele Modelle nicht rechtzeitig fertig würden, war nicht ganz unbegründet. Denn die neuen technischen Vorschriften wurden ja erst im Laufe des Jahres 2014 veröffentlicht. Knappe zwei Jahre bis zur Umsetzung neuer Anforderungen in ein Serienprodukt sind unter normalen Umständen nicht ausreichend; da haben viele kluge Köpfe einen wirklich guten Job gemacht.“